22.04.2022
In einem emotionslosen Support-Dokument gab Apple das endgültige Aus für OS X Server bekannt. Es war noch nicht einmal eine Pressemitteilung wert. Man muss buchstäblich bei Google danach suchen.
Wer auf die Software angewiesen ist und die Nachricht in der deutschen Version aufruft, erfährt das Gegenteil. Dort steht:
»Apple setzt die Entwicklung und Unterstützung von macOS Server fort.«
Sicherlich wird der Text demnächst angepasst. Und dann wird wohl auch dieser Satz entfernt:
»Da gehostete Dienste immer weiter verbreitet sind und es wichtiger denn je ist, Software auf dem neuesten Stand zu halten, nimmt Apple einige Änderungen an macOS Server vor.«
Das Handbuch, aus dem dieser fröhliche-eifrige Pressetext stammt, ist vermutlich genauso überholt wie OS X Server. Ich verwende absichtlich nicht den modernen Namen »macOS«, denn die Server-Version hat den Sprung in die moderne Ära nie geschafft.
Oder besteht die moderne Ära genau darin, dass man keinen Server mehr benötigt? Bucht man sich einfach die passenden Online-Dienste?
Vieles deutet darauf hin. Wer heute eine eigene Webseite startet, der verwendet WordPress und klickt sich alles zusammen. Noch wahrscheinlicher wird er einfach einen Account bei Facebook eröffnen. Oder bei YouTube. Wenn man die Publizisten zum Thema »Apple« mit den größten Reichweiten untersucht, stellt man fest: Keiner von ihnen hat mehr eine Webseite. Die noch existierenden Webseiten wurden vor vielen Jahren erstellt.
Frühe Mac-Webseiten (darunter MacTechNews, Daring Fireball und auch Mac-TV) starteten mit dem leeren weißen Fenster eines Texteditors. Alles wurde von Hand programmiert. Heute klingt das obskur, aber das zeigt nur, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Mit ähnlichen Änderungen musste auch OS X Server zurecht kommen. Der Teich, in dem OS X Server schwimmen wollte, ist nach und nach ausgetrocknet.
OS X Server war der Versuch, hochkomplexe Serverdienste so einfach zu gestalten, dass ambitionierte Anwender sie bedienen konnten, ohne einen teuren Spezialisten bezahlen zu müssen. Viele Agenturen hatten irgend einen Mitarbeiter, der nebenbei die Administration der Macs erledigte. Warum sollte er nicht auch in der Lage sein, Email-Postfächer einzurichten? Oder eine Webseite? So schwierig konnte das nicht sein.
Zudem brauchten Apples Firmenkunden ohnehin eine Möglichkeit, die Zusammenarbeit im Netzwerk zu organisieren. Beispielsweise konnte man das komplette User-Verzeichnis auf einem Server ablegen und dort für zuverlässige Backups sorgen. Oder man konnte festlegen, welches Team auf welche Ordner zugreifen konnte.
OS X Server schien also einerseits auf eine bereits vorhandene Kundschaft zu stoßen, die oft mit Windows-Servern versorgt war, die aber keine Loyalität zu Microsoft empfand. Zumal die Server-Lizenzen für Windows enorm teuer waren. Andererseits galt es, eine neue Kundschaft zu erobern, die gerade das Web entdeckte, jedoch vom Gefummel der damaligen Linux-Welt zurückschreckte.
Das Bild oben zeigt die Administration von OS X Server. Interessant ist vor allem die linke Seitenleiste. Man kann auf einen Blick erkennen, welche Dienste gerade eingeschaltet sind und ob sie funktionieren (denn dann haben sie ein grünes Licht). Es sieht ein bisschen aus wie iTunes.
Man erkennt in der Seitenleiste auch, wie viele Serverdienste vorhanden waren. Jeder Eintrag steht für eine hochkomplexe Anwendung — nicht unbedingt komplex für den Anwender, aber für Apple. Es war also eigentlich kein »Server«, sondern eine ganze Suite an Server-Anwendungen. Aus Sicht von Apple ist das ein großes Projekt.
Zwar handelte es sich bei den einzelnen Diensten um Open-Source-Software. Aber die Komplexität dieser Projekte ist gewaltig. Die Sonderwege, die Apple zugunsten einer einfachen Bedienung beschritt, erwiesen sich dadurch als Falle. Es war stets ein zusätzlicher Aufwand. Sehr wahrscheinlich war Apples Team dafür viel zu klein.
So nobel die Idee auch war: Es war stets ein Kampf gegen den Markt und teilweise auch gegen sich selbst. Die nötige Server-Hardware war zwar gut, aber sie war nicht erhältlich bei den großen Providern wie Strato oder Hetzner. Man konnte sie nicht günstig mieten, sondern musste sie kaufen. Anschließend musste man ein Rechenzentrum finden, wo man sie unterbringen konnte. Es war meist ein Vielfaches teurer als einfach irgendeinen schrottigen Server zu mieten (den man ohnehin nie sehen würde).
OS X Server selbst hatte enorme Startschwierigkeiten. Anfangs gab es keine Möglichkeit eines simplen Upgrades zur nächsten Software-Version. Man musste zunächst alle Daten in Sicherheit bringen, dann das Update installieren, und dann alle Daten wieder in die richtigen Ordner schaufeln, die sich aber teilweise geändert hatten. Es gab Anleitungen zur Migration, die allein aufgrund ihrer Länge und Komplexität jeder Beschreibung spotteten. Selbst wer sich mit z.B. dem Apache-Webserver auskannte (oder entsprechende Anleitungen im Internet befolgte), musste oft komplett umdenken und erstmal herausfinden, was Apple anders machte.
Mit den Jahren wurde auch die Konkurrenz besser, vor allem Linux. Die Administration geriet einfacher. Es bildeten sich fertige Pakete heraus, beispielsweise für Webserver, Datenbank und PHP, die man mit etwas Mut durchaus in den Begriff bekam. Es gab massenweise Dokumentation im Web.
Der goldene Mittelweg, den OS X Server eigentlich beschreiten wollte, wurde zu einer einsamen Sackgasse. Einerseits fand die Nerd-Kundschaft bald den Weg zu billigeren Lösungen. Andererseits wanderte die »Anwender«-Kundschaft ab zu Dienstleistern.
Apple reduzierte den Umfang von OS X Server immer weiter, um die eigene Arbeitslast zu reduzieren. Webserver, Mailserver und so weiter wurden entfernt und man riet den Kunden, sich einfach das Open-Source-Original zu installieren. Aber wer wusste, wie das ging (und es auch bei Problemen zu entwanzen verstand!), der konnte auf OS X Server insgesamt verzichten. Nach meiner Ansicht war das ein gigantischer Fehler, auch wenn ich verstehe, wie er zustande kam.
Am Ende blieben drei (drei!) komische Dienste übrig, die man sich als »App« für 20 Euro installieren konnte. Bitter. Das hatte OS X Server nicht verdient.
Tja.
Das Ende einer Software ist immer traurig.
Für mich persönlich war es eine aufregende Zeit. Ich verdanke den Teams rund um Xserve und OS X Server viel.
|